Montag, 06. Mai 2024

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Gewerkschaften reagieren "wie eine Mimose" auf Kritik

FDP-Chef Westerwelle hat den Gewerkschaften vorgeworfen, mit zweierlei Maß zu messen. Einerseits klatschten sie Beifall, wenn der SPD-Vorsitzende Müntefering Kritik an Unternehmern übe, sagte Westerwelle. Andererseits reagierten sie selbst mimosenhaft auf Kritik. Er erneuerte außerdem seinen Vorwurf, die Gewerkschaften verträten nur noch die Interessen ihrer Funktionäre und nicht mehr die der Arbeitnehmer. Deshalb müssten die Rechte der Betriebsräte gestärkt und die Mitbestimmung in die Unternehmen zurückgegeben werden. FDP-Chef Westerwelle stellt sich auf dem morgen beginnenden Bundesparteitag der Liberalen in Köln zur Wiederwahl.

Moderation: Friedbert Meurer | 04.05.2005
    Friedbert Meurer: In Köln tagen heute die Gremien der FDP, bevor dann morgen der 56. Bundesparteitag der Liberalen in der Domstadt offiziell beginnt. Manchen erstaunt, dass einerseits SPD und rot-grün insgesamt an Boden verloren haben, andererseits die FDP in den Umfragen davon nicht so richtig zu profitieren scheint. Und die Union befürchtet schon, der Machtwechsel im Bund könne vielleicht an einer schwächelnden FDP scheitern. Davor stehen die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen jetzt am 22. Mai.
    Unmittelbar vor dem FDP-Parteitag liefert sich Parteichef Guido Westerwelle einen heftigen Krach mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, mit Hubertus Schmoldt. Die Gewerkschaft hat den Liberalen von einem Kongress ausgeladen, weil der führende Gewerkschafter als "wahre Plage" bezeichnet hat. Am Telefon ist nun FDP-Parteichef Guido Westerwelle. Guten Morgen Herr Westerwelle!

    Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Kommt Ihnen der Krach gerade recht, jetzt kurz vor dem Parteitag, um Aufmerksamkeit zu erzielen?

    Westerwelle: Darum geht es nicht. Es geht ganz einfach darum, dass die selben Gewerkschaften, die Herrn Müntefering kräftig Beifall gegeben haben, als der die Unternehmen und die Unternehmer beschimpft hat, nun wie eine Mimose reagieren, wenn sie selbst kritisiert werden. Ich bin der Überzeugung, dass die Probleme in Deutschland auf dem Arbeitsmarkt nicht zuerst von den Investoren kommen, die hier schließlich im Wesentlichen auch Arbeitsplätze schaffen, weil sie Kapital nach Deutschland bringen, sondern sie kommen von einer überholten und überalterten Tarifpolitik, von Flächentarifvertragstrukturen, und sie kommen eben daher, dass die Gewerkschaften immer mehr funktionärische Interessen wahrnehmen, aber nicht mehr die Interessen der Arbeitnehmerschaft.

    Meurer: Jetzt hat ja Hubertus Schmoldt noch einen draufgesattelt. Ihr Begriff Plage, Herr Westerwelle, erinnere ihn an die Zeit der Weimarer Republik. Nehmen Sie das Wort Plage zurück?

    Westerwelle: Ich nehme überhaupt nichts zurück, denn ich habe geantwortet auf das, was Herr Müntefering gesagt hat, und ich muss auch auf der anderen Seite sagen, wenn Herr Schmoldt, Frau Engelen-Kefer, Herr Bsirske und Herr Sommer kräftig Beifall gegeben haben, dass identische Worte von Herrn Müntefering gewählt worden sind, und jetzt sich selbst gegen diese Kritik verwahren, dann spricht das glaube ich auch gegen sie selbst. Ich muss einfach auf den sachlichen Kern zurückkommen. Sehen Sie, wir haben in dieser Zeit eine Situation, wo Herr Bsirske von den Grünen als Chef der Gewerkschaft ver.di für 18 Minuten längere Arbeitszeiten, weil diese im sicheren öffentlichen Dienst kommen sollen, der Meinung ist es müsse gestreikt werden. Wer im sicheren öffentlichen Dienst beschäftigt ist und dann wegen 18 Minuten längerer Arbeitszeiten zum Streik aufruft, der hat die wahre Lage in Deutschland nicht begriffen und der schadet den Arbeitnehmerinteressen. Das werde ich als freier Demokrat auch in Zukunft laut und deutlich kritisieren.

    Meurer: Wollen Sie die Plage der Gewerkschaften loswerden?

    Westerwelle: Überhaupt nicht! Ich bin für Gewerkschaften. Ich bin sogar für starke Gewerkschaften, wenn sie Arbeitnehmerinteressen wahrnehmen. Aber die Gewerkschaftspolitik, wie wir sie in Deutschland in den letzten Jahren kennen, nimmt immer mehr die Interessen von Funktionären wahr und ausdrücklich auch gegen den Willen der Arbeitnehmerschaft. Man denke nur daran, wie im letzten Jahr der Streik in Ostdeutschland für die 35-Stunden-Woche bei den Metallern zusammengebrochen ist. Da haben die Arbeitnehmer selbst den westdeutschen Gewerkschaftsfunktionären gesagt, "seid ihr verrückt, unsere Arbeitsplätze wegen kürzeren Arbeitszeiten zu gefährden". Die Arbeitnehmer in Deutschland wissen genau: es ist noch keine Volkswirtschaft aus Schwierigkeiten heraus gekommen mit weniger Fleiß, mit weniger Anstrengung. Jeder weiß: man kommt nur mit mehr Fleiß und mit mehr Anstrengung aus der derzeitigen Schwierigkeit in Deutschland heraus. Wenn die Gewerkschaftsführer das nicht begreifen wollen, dann werden sie von mir auch öffentlich dafür kritisiert werden.

    Meurer: Aber die Arbeitnehmer wollen auch schon den Schutz der Gewerkschaften haben und Sie wollen den Kündigungsschutz reduzieren und Sie wollen die Mitbestimmung drastisch einschränken. Also doch ein Kampf gegen die Gewerkschaften?

    Westerwelle: Ganz im Gegenteil! Wir wollen ja die Mitbestimmung ausweiten, aber wir wollen die Mitbestimmung eben in die Betriebe zurückgeben. Das Problem ist ja heute, dass wir zu wenig betriebliche Bündnisse haben. Wenn dann in einem Unternehmen entschieden wurde, gibt es immer noch das Vetorecht der Funktionäre, und zwar bei beiden: auf der Arbeitgeberseite wie auf der Gewerkschaftsseite. Das finden wir falsch! Wir sagen ja gar nichts anderes, als dass die Betriebe selbst entscheiden sollen, dass die Belegschaften selbst entscheiden sollen. Die Arbeitnehmer in den Betrieben sollen mehr entscheiden. Wenn die Arbeitnehmer in einer geheimen Abstimmung sich mit 75 Prozent auf etwas mit der Unternehmensführung verständigen wollen, dann soll das auch gelten. Nichts anderes wollen wir, dass mehr in den Betrieben entschieden wird, dass die Betriebsräte stärker werden, dass die betrieblichen Bündnisse besser und mehr werden und dass dementsprechend die funktionärische Fremdbestimmung in den Betrieben weniger wird.

    Meurer: Die Kapitalismus-Debatte, Herr Westerwelle, von Franz Müntefering kommt ja offensichtlich beim Publikum an. Will die FDP umgekehrt für einen Kapitalismus stehen, der noch entfesselter daher kommt?

    Westerwelle: Ich glaube, dass wir mit unserer Politik weit besser die Arbeitnehmerinteressen vertreten, denn eine Wirtschaftspolitik, die auf Wachstum setzt, die dafür sorgt, dass Arbeitsplätze entstehen, dass junge Menschen einen Ausbildungsplatz haben, das ist die arbeitnehmerfreundlichste Politik und die sozialste Politik, die man in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit machen kann.

    Meurer: Nun sagt Otto Graf Lambsdorff, die FDP komme mit ihren Thesen einfach nicht so richtig rüber, wie es notwendig und auch gerechtfertigt wäre. Woran liegt das?

    Westerwelle: Ich teile diese Einschätzung nicht, sondern ich glaube, dass ist mal mehr, mal weniger, wie es sich auch normal in der Politik abspielt. Sehen Sie, es ist für die zweitgrößte Oppositionspartei im Bund mit Sicherheit nicht immer so leicht, mit ihren guten Thesen und ihrer guten Politik wahrgenommen zu werden, wie wenn man selber in der Regierungsverantwortung sitzt. Wir arbeiten daran, dass sich das ändert: erst in Nordrhein-Westfalen und dann im Bund.

    Meurer: Was sagen Sie zu der innerparteilichen Kritik, dass es heißt, das FDP-Image krankt auch am Image des Vorsitzenden, an dem immer noch das Image der Spaßpartei haftet?

    Westerwelle: Dass die Wähler es offensichtlich anders sehen, denn wir haben in den letzten vier Jahren – in dieser Zeit bin ich jetzt Vorsitzender und ich stehe ja jetzt auch im Mai zur Wiederwahl an, also auf dem Bundesparteitag jetzt ab morgen -, lauter Wahlen gehabt und wir haben es geschafft, unsere parlamentarische Präsenz mehr als zu verdoppeln. Wenn die Wahlergebnisse so sind, dass die Wähler uns wählen – und das ist die erfolgreichste Wahlzeit gewesen in den letzten vier Jahren seit der deutschen Einheit -, dann ist das die beste Bestätigung, die wir haben, und das ist auch die Bestätigung, die wir brauchen.

    Meurer: Wenn die FDP jetzt in elf Landtagen mittlerweile schon vertreten ist, ärgert es Sie dann, wenn aus der Union befürchtet wird, ein Wechsel kann an der FDP scheitern, wenn Edmund Stoiber sagt, Sie seien ein Leichtmatrose?

    Westerwelle: Ach das sind so Geplänkel und wenn die Konservativen, auch die CSU anfangen würden, die FDP zu loben, dann wäre das Problem glaube ich viel größer. Denn dass die CSU und dass die Konservativen allein schon in der Gesellschaftspolitik, wenn es um Themen geht wie Toleranz, innere Liberalität, Bürgerrechte, anders aufgestellt sind als wir, wie die Freien Demokraten, die liberale Partei in Deutschland, das ist nahe liegend. Insoweit ist eine Kritik der Konservativen an den Liberalen immer auch zugleich eine Bestätigung des liberalen Weges.

    Meurer: Nur in Schleswig-Holstein wäre der Wechsel fast gescheitert an der FDP?

    Westerwelle: In Schleswig-Holstein haben wir in der Tat wenig, aber immerhin Stimmen verloren. Das bedauern wir natürlich. Auf der anderen Seite, als es darum ging, dass Herr Carstensen im Parlament gewählt werden sollte, stand die FDP. Und dass es überhaupt zur Ablösung von rot-grün gekommen ist, ist ja auch nur zurückzuführen auf die Geschlossenheit von Union und FDP. Wir haben gestanden dort. In Schleswig-Holstein lag die Union vor der SPD. Die FDP ist in Schleswig-Holstein stärker gewesen bei der Landtagswahl wie die Grünen. Wenn uns das gelingt auch in Nordrhein-Westfalen, dann haben wir glaube ich einen großen Grund zum Feiern.

    Meurer: Die FDP steht vor ihrem Bundesparteitag in Köln. Das war Parteichef Guido Westerwelle heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Westerwelle, besten Dank und auf Wiederhören!

    Westerwelle: Auf Wiederhören!